Ich bin sehr schwankend, was ich zu diesem Thema schreiben soll... Einerseits hatte ich vor etlichen Jahren einmal ein Erlebnis der ganz besonderen Art mit einem Shadow II, mit dem ich gerade vom TÜV kam: Die Bremswerte waren sehr gut, nur die Handbremse wurde bemängelt. Ich fuhr mit dem Auto auf einer Bundesstraße, mit etwa 120 km/h, bergab auf eine Kreuzung mit einer anderen Bundesstraße zu, als (wegen eines Wackelkontaktes an der Zündung, wie sich später zeigte) der Motor ausging - und augenblicklich beide Bremskreise ausfielen. Wie sich ebenfalls später zeigte, waren beide Bremsdruckspeicher defekt, und beide Leitungen von den Bremsdruck-Kontrollschaltern unterbrochen (äußerlich nicht sichtbar). Meine Ampel zeigte ROT, ich bin dann auf der freien Linksabbiegerspur im Russisch-Roulette-Verfahren über die Kreuzung gefahren, dann auf der Gegenfahrbahn am Rückstau der nächsten roten Ampel vorbei (mit wahrscheinlich immer noch etwa 100 km/h), vor der Haltelinie wieder eingeschert und weiter gefahren. Es ging dann bergauf, und ich konnte nach ein paar hundert Metern schräg in eine Lücke rollen. Meine Knie waren ziemlich weich, als ich ausstieg...
Seitdem möchte ich immer wissen, ob die Lampen auch wirklich irgendwann angehen, wenn ich bei stehendem Motor das Pedal oft genug betätige...
Warum ich das erzähle? Nun, ich finde es gut, dass bei RR schon seit der Einführung der Vierradbremse (1924) im Prinzip zwei unabhängig voneinander wirkende Bremssysteme vorhanden sind (1956 bis 1976 sogar drei). Ab Chassisnummer 22118 sind es wieder nur zwei, und beide sind Systeme gleichwertig, d.h., wenn eines ausfällt, wird das Fahrzeug auf dem Bremsenprüfstand immer noch sehr gute Werte haben. Man kann also auch mit einem Bremskreis ganz normal fahren und bremsen, die doppelte Sicherheit ist aber nicht mehr gegeben.
Viele ältere Fahrzeuge haben ohnehin nur ein Einkreis-Bremssystem: Ich hatte vor über 20 Jahren mal ein 1965er Lincoln Continental Cabrio (das viertürige, mit den hinteren Selbstmörder-Türen), das hatte für seine 2,5 Tonnen und 320 SAE-PS nur ein Bremssystem. Und dieses eine Bremssystem fiel aus, als ich vor einer Fußgängerampel für zwei ältere Damen bremsen wollte... Mit der voll betätigten, aber ziemlich wirkungslosen Feststellbremse bin ich dann buchstäblich zwischen den Absätzen der beiden (die nichts gemerkt haben) durchgerollt. In den Tagen darauf habe ich dann einen Zweikreis-Hauptbremszylinder eingebaut...
Was ich eigentlich sagen will? Nun, ein System reicht, wenn es funktioniert; zwei Systeme sind besser, aber 100%ige Sicherheit gibt es auch dann nicht. Wie gesagt: Ich bin schwankend, was ich dazu sagen soll – ich kann mich nicht so empören, wie Udinho, aber seine Empörung nachvollziehen, denn Sicherheit ist oberwichtig; ich kann aber auch verstehen, dass jemand sagt: 'Ich habe zwei Bremssysteme, also eine erhebliche Sicherheitsreserve, demnach kann ich weiterfahren und gucken, wie sich das problematische System verhält, und dann in die Werkstatt fahren, wenn es tatsächlich ausgefallen ist, so dass eine einwandfreie Diagnose möglich ist'. Bei den Shadows mit dem dritten (Hilfs-)Bremskreis (bis 22117) ist die Verteilung übrigens so: Die vordere Pumpe versorgt zwei der vorderen Sättel und den Hochdruckkreis hinten; dies macht 47% der gesamten Bremskraft aus. Die hintere Pumpe versorgt (neben der Niveauregulierung) die anderen beiden vorderen Bremssättel und trägt somit 31% zur Bremskraft bei, die restlichen 22% liefert der Hauptbremszylinder direkt, also nur mit Muskelkraft, auf den zweiten hinteren Bremskreis. Ab 22118 fällt der Hauptbremszylinder weg und es gibt nur noch die beiden Hochdruckkreise, die beide zu jeweils gleichen Teilen vorn und hinten wirken.
Das Fahrerhandbuch ist übrigens relativ unaufgeregt in dieser Angelegenheit; im deutschen Handbuch heißt es in etwas kuriosem Deutsch:
"Sollte eine der Warnlichttafeln der mit hydraulischer Kraft betätigten Bremsarbeitskreise während des Fahrens aufleuchten, so ist dies ein Anzeichen dafür, dass in einem dieser Arbeitskreise, der mit der aufleuchtenden Warnlichttafel verbunden ist, ein Fehler aufgetreten ist. In diesem Falle ist immer noch Bremsen aller vier Räder möglich, jedoch die Bremswirksamkeit ist nicht so hoch wie im Falle des korrekten Arbeitens aller hydraulischen Bremskreise. Sobald eine der erwähnten Warnlichttafeln aufleuchtet, ist die Ursache des Aufleuchtens ohne lange Verzögerungen zu untersuchen und nötigenfalls eine unserer Werksvertretungen zu Rate zu ziehen."
Dieser Text galt natürlich für relativ frische Fahrzeuge, und das Argument von Udinho, dass, wenn ein Kreis Ausfallerscheinungen zeigt, der zweite wahrscheinlich ähnlich marode ist und die Ausfallwahrscheinlichkeit relativ groß ist, ist nicht von der Hand zu weisen.
Grüße aus dem Norden
Claus F.Erbrecht
Heaven's Gate Garage
www.bentleyteile.de